„Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität. Klimaschutz sichert Freiheit, Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand“, heißt es in der Präambel des Koalitionsvertrags der Bundesregierung. Diese politische Übereinkunft ist sowohl in der Regierungsvereinbarung verankert als auch auf europäischer Ebene durch den Grünen Deal. Der Weg in die klimaneutrale, sozial gerechte Zukunft scheint also geebnet.
Um diese Transformation möglich zu machen, braucht es staatliche Investitionen im Wert von rund 470 Mrd. Euro jährlich in der EU bis 2030. Die EU-Defizit- und Schuldenregeln stehen dem jedoch im Weg. Denn sie verpflichten EU-Regierungen, ihr Haushaltsdefizit auf 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die staatliche Gesamtverschuldung auf maximal 60% des BIPs zu begrenzen. EU-weit liegen die Staatsschulden derzeit bei knapp 100% des BIP, weit über der zulässigen Grenze also.
Diese Regeln sind derzeit zur Abfederung von negativen Konsequenzen der COVID-19-Pandemie noch bis Ende des Jahres ausgesetzt. Sollten sie danach wieder gelten, müssten Länder wie Griechenland, Italien und Portugal unrealistisch hohe Überschüsse erzielen, um Staatsschulden abzubauen. Damit würde der staatliche Investitionsspielraum stark eingeschränkt und so das Erreichen der Klimaziele in Frage gestellt werden.
EU-Mitgliedstaaten debattieren derzeit über eine Reform dieser Regeln, mit dem Ziel bis zum Ende des Jahres eine Entscheidung zu treffen. Unter den vielen Vorschlägen für Reformen brauchen jene, die ausreichend Flexibilität für Investitionen ermöglichen, Einstimmigkeit unter den EU-Regierungen (Die Feasibility und Impact Analyse des ZOE Instituts für zukunftsfähige Ökonomien gibt einen Überblick über die Reformvorschläge).
Angeführt von Frankreich und Italien gibt es Länder, die eine solche tiefgreifende Reform für nötig halten. Entgegengesetzt positionieren sich vor allem nordeuropäische Länder, die auf der Einhaltung der derzeit geltenden Schuldenregeln beharren. Deutschland steht dazwischen. Zwar spricht sich Lindner, welcher als Finanzminister für die Verhandlung verantwortlich ist, für eine Reform der Defizit- und Schuldenregeln aus. Ob dies jedoch nur ein kleines Reförmchen wird, mit dem Lindner sich als progressiver Reformer positionieren kann, ohne dass es hoch verschuldeten Ländern ausreichend Investitionsspielraum einräumt, oder eine echte Reform, die den klimaneutralen und gerechten Umbau der europäischen Wirtschaft ermöglicht, ist unklar. Mit der Berufung von Lars Feld, der für seine konservativen Positionen zu Fiskalpolitik bekannt ist, als Lindners ökonomischer Berater, scheint eine ausreichende Reform jedoch weiter in die Ferne gerückt.
Umso wichtiger ist es, dieses Thema jetzt auf die Agenda zu setzen und in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Wenn in der deutschen Debatte sichtbar wird, dass Lindner mit einem kleinen Reförmchen das Erreichen der Klimaziele behindert, wird es für ihn schwieriger, eine echte Reform der EU-Fiskalregeln zu blockieren. Empfehlungen für eine solche Reform sind in diesem ZOE Policy Brief nachzulesen.