Hunger, zunehmende Armut und Ungleichheit, die Klima- und Biodiversitätskrise, steigende Staatsverschuldungen und überforderte Gesundheitssysteme zeigen den dramatischen Zustand, in dem sich unsere Welt nicht erst seit der COVID-19-Pandemie befindet. Um diesen multiplen Krisen entgegenzuwirken, werden multilaterale Lösungsansätze gebraucht. Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) können dabei als Wegweiser dienen. Doch der Sustainable Development Report 2022 zeigt, dass die Weltgemeinschaft das zweite Jahr in Folge Rückschritte beim Erreichen der SDGs gemacht hat.
Diesen Rückschritten versuchen das Hochrangige Politische Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPF) der Vereinten Nationen (VN) und der SDG-Gipfel entgegenzutreten. Der SDG-Gipfel findet, anders als das jährlich auf Minister*innenebene stattfindende HLPF, alle vier Jahre im Rahmen der VN-Generalversammlung auf Ebene der Staats- und Regierungschef*innen statt und nimmt die weltweite Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in den Blick. Auf dem HLPF berichten Staaten freiwillig über “best practices“und Herausforderungen bei ihrer Umsetzung der Agenda 2030. Beide Foren gelten als zentral für die globale Nachhaltigkeitspolitik. Oft scheitern sie jedoch an Selbstlähmung und divergierenden Interessen der Staaten.
Die diesjährige Minister*innenerklärung des HLPFs vom 7. Juli 2022 zeigt das genannte Problem deutlich. Die Erklärung ist erneut geprägt von Feststellungen des Status quo und Bekenntnissen zur Agenda 2030. Politische Führung, politische Leitlinien sowie innovative Empfehlungen, um sich den genannten Rückschritten entgegenzustellen, sucht man vergebens. Die Partikularinteressen der Staaten sind zu groß. Das mühsam ausgehandelte Abschlussdokument bekräftigt aber, den politischen Willen beim SDG-Gipfel im September 2023, der zur „Halbzeit“ der Agenda 2030 stattfindet, zu erhöhen. So empfiehlt das Abschlussdokument, dass alle VN-Mitgliedsstaaten auf höchster politischer Ebene am kommenden Gipfel teilnehmen und Fortschritte beim Erreichen der Agenda 2030 durch nationale und regionale Konsultationen überprüft werden, um den Beginn einer neuen Phase beschleunigten Fortschritts bei der Verwirklichung der SDGs zu markieren. Doch welche Rolle kann der nächste Gipfel konkret spielen?
Damit der kommende Gipfel ein Erfolg wird, sollte allen vorandie deutsche Regierung die Vorschläge für einen vernetzten Multilateralismus für nachhaltige Entwicklung des VN-Generalsekretärs, António Guterres, auf nationaler Ebene umsetzen. So könnten nationale Dialogformate zu Nachhaltigkeitsthemen angeboten, eine stärkere politische Beteiligung von Jugendlichen ermöglicht, Geschlechtergerechtigkeit vorangetrieben und Ressortkooperation verstärkt werden. Ein vernetzter Multilateralismus ist essentiell für die Umsetzung der SDGs, da die genannten Problemlagen grenzüberschreitend sind. Zusätzlich müssen möglichst viele Staats- und Regierungschef*innen am Gipfel teilnehmen, um zur „Halbzeit“ der Agenda 2030 das dringend benötigte politische Momentum zu erzeugen. Das Bundeskanzleramt sollte deshalb frühzeitig den kommenden Gipfel planen und auf diesem in ressortübergreifender Zusammenarbeit konkrete Vorschläge für den in 2024 anstehenden HLPF-Review vorlegen, um bislang ausgebliebene Reformprozesse des Forums voranzutreiben.
Der Wille an den SDGs festzuhalten und uns von ihnen wie von einem Kompass aus den Krisen führen zu lassen, war beim HLPF spürbar. Auch wenn die Hallen und Flure in den VN dieses Jahr erstaunlich leer blieben, wurde zurecht die bestehende inhaltliche Ausrichtung der SDGs einmal mehr bestätigt. In Gesprächen mit anderen Delegationen wurde darüber hinaus deutlich, dass es jetzt vor allem eines gemeinsamen Narrativs bedarf, um die Agenda 2030 und die SDGs in die Mitte der Gesellschaft zu führen. Voraussetzung dafür ist, dass die Notwendigkeit einer Nachhaltigkeitstransformation für alle nachvollziehbar wird. Klimaschutz allein reicht nicht aus. Auch Biodiversitäts- und Meeresschutz dürfen nicht aus den Augen verloren werden. In diesem Zusammenhang muss allen bewusstwerden, welche Auswirkungen unser Handeln auf die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen und der Menschen in anderen Staaten haben wird. Das Narrativ, welches allen voran von Regierungen vorangetrieben werden muss, sollte dabei verständlich sein und mit alltagsnahen Themen wie Lebensmittelverschwendung oder Müllproduktion und deren Bezüge zu den SDGs verbunden werden. Damit dies gelingt, sollte die Steuerungsfunktion des Bundeskanzleramts als nachhaltigkeitskoordinierende Behörde gestärkt, sowie strategiefähige und digitale Strukturen in den Ministerien ausgebaut werden. Die jüngere Generation für die das Erreichen der Agenda 2030 eine zentrale Bedeutung hat, wird weniger von politischen Bekundungen überzeugt, als von greifbaren Angeboten. In Deutschland könnten SDG-Influencer*innen in den sozialen Medien für die Umsetzung der SDGs werben. Auch der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk könnte noch stärker auf Berichterstattung von Sachenthemen, wie Klima und Biodiversität und ihren Verbindungen zu den SDGs setzen.
Die genannten Vorschläge bieten einen guten Ausgangspunkt, um das oft beschworene politische Momentum für die SDGs zu erzeugen. Ein Momentum, dass das diesjährige HLPF nicht erzeugen konnte. Gelingt dies nicht, besteht die große Gefahr, dass die SDGs, wie schon ihre Vorgängerziele, die Millennium Development Goals, nicht erreicht werden.