Grüne Digitalisierung? Digitaler Wandel als Chance & Risiko der nachhaltigen Entwicklung

Ist die Digitalisierung Teil der Lösung für das Erreichen der Agenda 2030 und der SDGs? Oder erschwert der digitale Wandel vielmehr die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung?

Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie wir unseren Alltag gestalten, wie wir lernen, arbeiten und kommunizieren, entscheidend verändert. In fast allen Lebensbereichen werden digitale Technologien verwendet, um Prozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten. Digitale Kommunikationsmöglichkeiten verringern die Notwendigkeit von Reisen, der Einsatz von Sensoren ermöglicht intelligentes Energie- und Gebäudemanagement, digitale Dokumente reduzieren den Papierverbrauch und die Einführung intelligenter Mobilitäts- und Transportsysteme kann zur Verminderung des Verkehrsaufkommens beitragen. Digitale Lösungen können demnach nicht nur Kosten reduzieren, sondern auch dabei helfen, den Energie- und Ressourcenverbrauch zu senken, Emissionen zu vermeiden und die Abfallproduktion zu minimieren. Auch bei der Verbreitung von Bildung und Wissen sowie beim Zugang zu Gesundheits- und Hygieneangeboten spielen digitale Technologien eine entscheidende Rolle (Gossen et al., 2021).

Gleichzeitig steigt mit der Produktion von digitalen Geräten auch der Bedarf an seltenen Rohstoffen, wie Kobalt und Lithium, deren Abbau zur Ausbeutung von Mensch und Natur insbesondere in Ländern des „Globalen Südens‘“ beiträgt. Auch jede Videokonferenz, jede Suchanfrage, jede Bestellung im Internet und jeder Stream verbraucht hohe Mengen an Energie und insbesondere die Speicherung und Verarbeitung der Daten in den Rechenzentren verursacht klimaschädliche Emissionen (Doleski et al., 2021). Die Menge an Elektroschrott steigt, der in seiner Entsorgung mit erheblichen Umweltbelastungen verbunden ist. Zudem können neue Möglichkeiten, die im Zuge der Digitalisierung entstehen, wie beispielsweise die Zunahme des Online-Handels oder das Angebot neuer Produkte und Dienstleistungen, zu einer Steigerung des Konsums führen, wodurch negative Effekte (Rebound-Effekte, vgl. unten) auf die Umwelt und das Klima bewirkt werden (Höfner & Frick, 2019).

Deutlich wird, dass die Digitalisierung auf der einen Seite zahlreiche Chancen für die nachhaltige Entwicklung bietet und innovative Transformationskraft bei der Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) sein kann (Gossen et al., 2021). Auf der anderen Seite birgt die Digitalisierung auch das Risiko, negative Trends, wie die Vergrößerung unseres CO2-Fußabdrucks und die Zunahme umweltschädlicher Verhaltens- und Konsummuster, noch zu verstärken (Ramesohl & Berg, 2019). Es müssen daher Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, beide Entwicklungen zusammenzuführen und die globale Digitalisierung innerhalb der planetaren Grenzen zu gestalten und sozial-verträglich umzusetzen. Im Folgenden wird besonderer Fokus auf die ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung gelegt.

Gemeinsam auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen Digitalisierung

Voraussetzungen für eine sozial-ökologische Transformation im Einklang mit dem digitalen Wandel sind, die Digitalisierung als integriertes, umweltpolitisches Querschnittsthema zu verstehen und diese als gesamtgesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe zu betrachten. Es müssen die komplexen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen beiden Trends verstanden sowie Strategien zur Nachhaltigkeit und Digitalisierung stärker miteinander verschränkt werden.

Nachhaltige Digitalisierung als politisches Narrativ

Der Zusammenhang von Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist im politischen Denken, sowohl auf deutscher als auch europäischer Ebene, bereits strategisch verankert und wird als Twin-Transition verstanden (Muench et al., 2022). Beispielsweise stellt die Digitalisierung eine von sechs Prioritäten für die Arbeit der europäischen Kommission für die kommenden Jahre mit Blick auf die Erreichung der Klimaneutralität von Europa bis 2050 dar. In diesem Kontext wurden verschiedene konkrete Strategien und Initiativen entwickelt, um eine Digitalisierung im Sinne der Agenda 2030 voranzutreiben (Von der Leyen, 2019). Dazu zählt die Implementierung einer neuen Industriestrategie für eine digitale, kreislauforientierte und umweltfreundliche Wirtschaft oder die Einführung eines digitalen Produktpasses für die Verbesserung der Wartungs-, Demontage-, Wiederverwendungs- und Recyclingfähigkeit von Produkten (Europäische Kommission, 2021). Auch auf nationaler Ebene wird mithilfe der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie daraufgesetzt, die ökologischen und gesellschaftlichen Chancen der Digitalisierung zu nutzen und digitale Technologien bei Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels einzusetzen (Bundesregierung, 2021). Strategisch festgehalten ist dies auch in der Digitalstrategie der Bundesregierung, in der die 17 Nachhaltigkeitsziele als Richtschnur des politischen Handels verstanden werden. Konkrete Handlungsmöglichkeiten werden beispielsweise in der Digitalisierung der Landwirtschaft, im Energiemanagement und in der Mobilität gesehen (Bundesregierung, 2022).

Doch obwohl die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung bereits als Narrativ im politischen und wissenschaftlichen Denken verankert ist, wird politisches Handeln durch das hohe Maß an Komplexität, Unsicherheit und ständiger Veränderung des digitalen Wandels erschwert und sogenannte Rebound-Effekte stellen eine Herausforderung dar (Santarius et al., 2022). Diese treten auf, wenn durch technologische Fortschritte der Energie- und Ressourcenverbrauch zwar prinzipiell reduziert wird, die Einsparungseffekte aber durch gesteigerte oder veränderte Nutzung wieder aufgehoben werden. Dadurch sinkt der Gesamtemissionsausstoß nicht und Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele werden trotz umfassender umweltpolitischer Maßnahmen verfehlt (Höfner & Frick, 2019). Demnach müssen Rebound-Effekte bei der Gestaltung von Strategien einer nachhaltigen Digitalisierung erkannt, berücksichtigt und direkt adressiert werden. Politische Instrumente können dabei u.a. das Setzen von anspruchsvollen Mindeststandards, steuerliche Abgaben für produzierte Emissionen sowie Anreize und Subventionen für nachhaltiges Handeln sein. Es müssen dabei nicht nur Auswirkungen beachtet werden, die innerhalb Deutschlands auftreten, sondern auch solche, die durch deutsches Handeln über Grenzen hinweg ausgelöst werden, z.B. innerhalb internationaler Lieferketten (Messner et al., 2019).  

Umdenken nötig: Die Frage der Suffizienz

Der digitale Wandel ist bisher nicht an die Bedürfnisse der sozial-ökologischen Gesellschaft angepasst und bei technologischen Innovationen steht vor allem Profit und individueller Komfort anstelle des Gemeinwohls im Vordergrund. Für eine ausreichende Beachtung von Rebound-Effekten müssen jedoch neben Fragen der Effizienz insbesondere auch Fragen der Suffizienz neuer Technologien gestellt werden (Erdmann et al., 2022). Digitale Suffizienz strebt einen geringeren Verbrauch von Ressourcen und Energie an und soll dadurch negative Auswirkungen der Digitalisierung auf Umwelt und Klima verringern. Diese Reduktion des Verbrauchs kann nur gelingen, indem ein Paradigmenwechsels hin zu einer Nachhaltigkeitsgesellschaft, die resilienter und wachstumsunabhängiger ist, stattfindet. Für diese Entwicklung müssen politische Weichen gestellt werden, indem entsprechende Rahmenbedingungen eingeführt und suffizienzorientierte Verhaltensweisen gefördert werden (Santarius et al., 2022). Beispielhaft sind hier die gesetzliche Regelung der Langlebigkeit von Produkten, der Zugang zu Wissen und Bildung sowie die demokratische Gestaltung der Digitalisierung zu nennen.

Die Rolle der Bürger*innen

Die sozial-ökologisch nachhaltige Gestaltung der Digitalisierung liegt jedoch nicht allein bei der Politik oder auf Seiten der Hersteller*innen, auch jede*r Einzelne*r kann dazu einen Beitrag leisten.

Beispielsweise können Bürger*innen Bewusstsein in der Gesellschaft für die ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung schaffen, in dem sie sich an Debatten und Diskussionen beteiligen sowie sich und andere darüber informieren. Auch die Mitgestaltung politischer Entscheidungsprozesse z.B. durch politisches Engagement oder die Teilnahme an Partizipationsprozessen ist wichtiger Aspekt für die Umsetzung einer grünen Digitalisierung (Messner et al., 2019). Aber auch individuelle Verhaltensänderungen wie bewusster Konsum und die Nutzung nachhaltiger Technologien sind Möglichkeiten für Bürger*innen einen Beitrag zu leisten (Santarius et al., 2022). Vielen ist jedoch bislang nicht klar, welche ökologischen und sozialen Folgen mit ihren digitalen Aktivitäten einhergehen. Für das Erkennen dieser und das Sichtbarmachen von Alternativen, stellen CO2-Fußabdruckrechner, wie der digitale COyou-Check des Wuppertal Instituts ein hilfreiches Tool dar.

Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss im Einklang mit der Agenda 2030 und den 17 Nachhaltigkeitszielen geschehen.

Es stellt sich nicht länger die Frage, ob unsere Welt digitalisiert wird, sondern wie der digitale Wandel nachhaltiger gestaltet werden kann. Politik, Wirtschaft, Industrie und Zivilgesellschaft haben gemeinschaftlich die Verpflichtung die Digitalisierung sozial-ökologisch und gerecht zu gestalten. Die Digitalisierung muss nicht nur im Einklang der SDGs geschehen, sondern sollte auch selbst dazu beitragen, die nachhaltige Entwicklung zu unterstützen und zu ermöglichen. Notwendige Bedingungen dafür sind breite Debatten über die sozialen und ökologischen Auswirkungen der technologischen Entwicklung innerhalb und außerhalb Deutschlands, die Verknüpfung von Strategien zur Digitalisierung und Nachhaltigkeit sowie gesetzliche Verankerung und politische Regulierungen. Wichtig ist dabei, dass Rebound-Effekte erkannt und direkt adressiert werden. Zudem müssen Fragen der Effizienz mit Fragen der Suffizienz verbunden werden. Für die erfolgreiche Entwicklung von Maßnahmen und Lösungen ist es notwendig, einen Multi-Stakeholder-Ansatz zu entwickeln, um die verschiedenen Perspektiven, Bedürfnisse und Kapazitäten zusammenzubringen. Breite gesellschaftliche Partizipation und eine effektive Vernetzung von verschiedenen Akteur*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ist nötig, um an bestehenden Strategien anzusetzen, diese zu hinterfragen, weiterzuentwickeln und mit neuen Impulsen zu versehen.


Viele weitere Informationen zur nachhaltigen Digitalisierung, für politische und gesellschaftliche Implikationen für die Gestaltung des digitalen Wandels im Einklang mit der sozial-ökologischen Transformation, zur digitalen Suffizienz und für Möglichkeiten, den eignen CO2-Fußabdruck zu senken sind bei unseren Mitgliedern und Partnern zu finden.

Zukunftswissen.fm – Der Podcast des Wuppertal Instituts zum Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit: https://wupperinst.org/aktuelles/podcast

Studie zur nachhaltigen Digitalisierung für kleine und mittelständige Unternehmen vom Öko-Institut: https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Nachhaltige-Digitalisierung-KMU.pdf

Publikation des Umweltbundesamt: Digitalisierung nachhaltig gestalten https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/digitalisierung-nachhaltig-gestalten

Blog des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) zum Thema digitale Suffizienz:  https://isoe.blog/digitale-suffizienz-so-viel-digitalisierung-wie-noetig-so-wenig-wie-moeglich/


Literatur:

Bundesregierung (2021). Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Verfügbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/998006/1873516/9d73d857a3f7f0f8df5ac1b4c349fa07/2021-03-10-dns-2021-finale-langfassung-barrierefrei-data.pdf?download=1, abgerufen am 11.04.2023

Bundesregierung (2022). Digitalstrategie Gemeinsam digitale Werte schöpfen. Verfügbar unter: https://digitalstrategie-deutschland.de/static/67803f22e4a62d19e9cf193c06999bcf/220830_Digitalstrategie_fin-barrierefrei.pdf, abgerufen am 11.04.2023

Doleski, O. D., Kaiser, T., Metzger, M., Niessen, S., & Thiem, S. (2021). Digitale Dekarbonisierung für dekarbonisierte Digitalisierung. Wirtschaftsinformatik & Management13(3), 236-243.

Erdmann, L., Cuhls, K., Warnke, P. et al. (2022). Digitalisierung und Gemeinwohl-Transformationsnarrative zwischen Planetaren Grenzen und Künstlicher Intelligenz. Abschlussbericht. Verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/digitalisierung-gemeinwohl-transformationsnarrative, abgerufen am 11.04.2023

Europäische Kommission (2021). Digitaler Kompass 2030: der europäische Weg in die digitale Dekade. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:12e835e2-81af-11eb-9ac9-01aa75ed71a1.0016.02/DOC_1&format=PDF, abgerufen am 11.04.2023

Gossen, M., Rohde, F., & Santarius, T. (2021). A Marriage Story of Digitalisation and Sustainability? Ökologisches Wirtschaften-Fachzeitschrift36(01), 4-8. https://doi.org/10.14512/OEWO36014

Höfner, A. & Frick, V. (2019). Was Bits und Bäume verbindet. München: Oekom. ISBN 978-3-96238-149-3. Verfügbar unter: https://www.oekom.de/buch/was-bits-und-baeume-verbindet-9783962381493

Messner, D., Schlacke, S., Fromhold-Eisebith, M., Grote, U. et al. (2019). Unsere gemeinsame digitale Zukunft. Verfügbar unter: https://issuu.com/wbgu/docs/wbgu_hg2019?fr=sM2JiOTEyNzMy, abgerufen am 11.04.2023

Muench, S., Stoermer, E., Jensen, K., Asikainen, T., Salvi, M. and Scapolo, F., (2022). Towards a green and digital future.  Publications Office of the European Union: Luxembourg. ISBN 978-92-76-52451-9, http://dx.doi.org/10.2760/977331, JRC129319.

Ramesohl, S. & Berg, H. (2019) Digitalisierung in die richtige Richtung lenken – Eckpunkte für Wissenschaft und Politik. in brief, Wuppertaler Impulse zur Nachhaltigkeit 8. Verfügbar unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/7392/file/7392_Digitalisierung.pdf, abgerufen am 11.04.2023

Santarius, T., Bieser, J.C.T., Frick, V. et al. (2022). Digital sufficiency: conceptual considerations for ICTs on a finite planet. Ann. Telecommun. https://doi.org/10.1007/s12243-022-00914-x

Von der Leyen, U. (2019). Eine Union, die mehr erreichen will: meine Agenda für Europa : politische Leitlinien für die künftige Europäische Kommission 2019-2024, Publications Office. Verfügbar unter: https://data.europa.eu/doi/10.2775/23027, abgerufen am 11.04.2023

Der Autor / Die Autorin

Linda Lütkes

Praktikantin in der Geschäftsstelle von SDSN Germany

Linda Lütkes hat im Oktober 2021 ihren B.A. Geographie an der Leibniz Universität Hannover abgeschlossen. Seitdem studiert sie im M.Sc. Humangeographie an der Universität Münster. Ein Semester des Masterstudiums hat sie in an der Rijksuniversiteit Groningen verbracht. Inhaltliche Schwerpunkte setzt sie vor allem im Bereich der Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation.