28.08.2024 News

Peer-Learning und Kapazitätsaufbau für eine integrierte Umsetzung und Berichterstattung zu regionalen und nationalen Strategien für eine nachhaltige Entwicklung

Bericht zum HLPF-Side-Event von Cepei, wpn2030 und SDSN Germany vom 15. Juli 2024

Am 15. Juli 2024 veranstalteten der kolumbianische Think Tank Cepei, die Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit (wpn) 2030 und SDSN Germany gemeinsam ein offizielles Side-Event zum Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung (High-Level Political Forum on Sustainable Development, HLPF) in New York. Ziel des Side-Events war es, Peer-Learning zur Umsetzung von und Berichtslegung zu Nachhaltigkeitsstrategien in verschiedenen nationalen und regionalen Kontexten zu ermöglichen. Das Side-Event stand so im Einklang mit dem Querschnitts-SDG 17 (Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung wiederbeleben) und baute auf dem sechsten transformativen Hebel auf, der im Globalen Bericht zur Nachhaltigen Entwicklung (Global Sustainable Development Report, GSDR 2023) eingeführt wurde: Kapazitätsaufbau und -ausbau („Capacity Building“). Aktuell erfordern politische Instabilität, unmittelbare Krisen und begrenzte finanzielle Ressourcen mehr denn je strategische, integrierte und vorausschauende Entscheidungen zur beschleunigten Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs). Zugleich stellen diese Faktoren Mitgliedsstaaten in vielen Strategiekontexten vor erhebliche Herausforderungen.

Verbesserung des Kapazitätsaufbaus und -ausbaus als Hebel für die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele: Kernbotschaften aus dem GSDR 2023 (Sarah Löpelt, SDSN Germany / wpn2030)

Sarah Löpelt hob wichtige Erkenntnisse aus dem Globalen Bericht zur Nachhaltigen
Entwicklung (GSDR) 2023 hervor, die die zentrale Rolle des Kapazitätsaufbaus und -ausbaus bei der Umsetzung und Berichterstattung von Nachhaltigkeitsstrategien betonen. Ihr Beitrag unterstrich die Notwendigkeit, unterschiedliche Arten von Kapazitäten je nach SDG, Phase der Transformation und nationalem oder lokalem Kontext aufzubauen, um die transformativen Prozesse zur SDG-Erreichung zu unterstützen. Löpelt skizzierte die drei Phasen der Transformation aus dem GSDR: Entstehung (Emergence), Beschleunigung (Acceleration) und Stabilisierung (Stabilization) (siehe Abb. 1).

In der ersten Phase liegt der Fokus auf der Innovation und der Schaffung nachhaltiger Alternativen, während alte Systeme destabilisiert werden. Dies umfasst die Bereitstellung informeller und geschützter Räume für Innovation und Dialog sowie für die Exploration neuer Chancen und Möglichkeitsräume. Konsensbildung über die strategische Ausrichtung und Weitsicht sei entscheidend. Dies kann durch verschiedene Maßnahmen erreicht werden. Allen voran ist eine gemeinsame Entwicklung langfristiger Visionen und Strategien wichtig. Die Nutzung von Szenarioanalyse-Methoden und eine Stärkung der Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik können hierbei eine wichtige Rolle einnehmen.

In der zweiten Phase seien Transformationen durch Koordination zwischen verschiedenen Akteursgruppen zu skalieren und zu beschleunigen, während nicht-nachhaltige Systeme aufgebrochen werden müssten. Diese Phase umfasse die Identifikation erfolgreicher Praktiken und Modelle, die dann skaliert und repliziert werden können, die Koordination von Maßnahmen über Sektoren hinweg und die Einbindung aller Akteure. Die Aushandlung von Konflikten und Kompromissen sei in dieser Phase unerlässlich, um die Akzeptanz für erfolgreiche Lösungen voranzutreiben. Die Kapazitäten zur Ausgestaltung solcher Aushandlungsprozesse, der politischer Wille und das öffentliche Bewusstsein seien wichtig, um Unterstützung für die Skalierung von transformativen Maßnahmen aufzubauen. Gleichzeitig müssen allgemeine Hindernisse und Systemblockaden einer Abkehr vom „Business-as-usual“ sowie nicht-nachhaltige Pfade identifiziert und überwunden werden.

Abbildung 1: Die drei Phasen der Transformation (GSDR 2023, S. 65)

In der letzten Phase geht es um die Entwicklung verschiedener Formen des Kapazitätsaufbaus und -aufbaus, um den langfristigen Erfolg neuer Systeme zu stabilisieren und alte nicht-nachhaltige Systeme einzustellen. Diese Phase umfasst die Sicherstellung finanzieller und personeller Ressourcen für Investitionen in gesetzliche Reformen und den Aufbau neuer Institutionen für die Umsetzung, Regulierung, Durchsetzung und Nachverfolgung. Der Aufbau resilienter und anpassungsfähiger Institutionen und Strategien ist von entscheidender Bedeutung, um die Umsetzung der in den früheren Phasen erreichten transformativen Veränderungen langfristig zu gewährleisten.

Zusammenfassend sei es für eine integrierte SDG-Berichterstattung und -umsetzung besonders wichtig, folgende Kapazitäten aufzubauen: über Ressorts und Governance-Ebenen hinweg mit einer gemeinsamen Vision für langfristige Ziele zusammenzuarbeiten, verschiedene Politikfelder zu integrieren, Synergien zu nutzen und Zielkonflikte zu minimieren, gesellschaftliche Gruppen effektiv einzubinden und dabei zu verhandeln, Konflikte zu lösen und zu vermitteln sowie (aus Sicht unterschiedlicher Stakeholder) den Übergang zur Nachhaltigkeit strategisch und systematisch voranzutreiben und zu steuern.

Hindernisse für eine erfolgreiche Umsetzung der SDGs in Lateinamerika/Karibik und Kolumbien (Philipp Schönrock, Cepei)

Philipp Schönrock, Direktor des Cepei Think Tanks, präsentierte die Herausforderungen bei der Umsetzung der SDGs in Lateinamerika und der Karibik, mit Fokus auf Kolumbien. Um die Arbeiten zur SDG-Umsetzung in der Region zu stärken, sei ein stärkerer politischer Wille erforderlich, um nationale Fortschritte ergebnisorientiert und im globalen Kontext zu messen. Die Beschleunigung der Umsetzung der SDGs werde ohne die Verbesserung der Kapazitäten der Länder in der Region zur Produktion, Verwaltung und Übermittlung von Daten nicht möglich sein. Schönrock berichtet von einem Vertrauensverlust der Bürger:innen in Institutionen und sogar in die Demokratie. Die Regierungen erfüllten in den Augen der Bürger:innen nicht ihre Anliegen, insbesondere in sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Bereichen. Als Hauptprobleme nennt er einen Mangel an Koordination zwischen den relevanten Institutionen und fehlende Finanzierung. Um diese Herausforderungen zu überwinden, betonte Schönrock die Notwendigkeit, die politische Führung und die interinstitutionelle Koordination zu stärken sowie die lokale Beteiligung zu fördern, den Privatsektor und die Zivilgesellschaft stärker einzubeziehen sowie die institutionellen Kapazitäten aller Akteure zu stärken.

Bezüglich des Monitorings der SDGs sei es laut Schönrock wichtig, die Kapazitäten der nationalen statistischen Büros zu stärken, und deren Finanzierung sicherzustellen. Zusätzlich müsse die Koordination zwischen privaten und öffentlichen Institutionen verbessert werden, um die Verfügbarkeit und Qualität von Daten bezüglich der SDG-Umsetzung in der Region zu erhöhen. Public-private Partnerships spielten hierbei eine entscheidende Rolle, indem sie den Austausch von Daten förderten und technische Dienstleistungen unter den Akteursgruppen besser koordinieren könnten. Zur Datenerfassung, Implementierung von Monitoringtechnologien, Erstellung von Rechenschaftsberichten, Bildung von Partnerschaften und technologischen Innovationen kann laut Schönrock der Privatsektor einen wichtigen Beitrag leisten. Hierfür muss die Datenerhebung jedoch nach ethischen Prinzipien durchgeführt werden und sich an spezifische lokale Kontexte orientieren. Öffentlich-private Dateninitiativen könnten Ungleichheiten beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und bei der Verteilung von Ressourcen sowie Verstöße gegen grundlegende Rechte aufzeigen.

Erfolgsfaktoren und Barrieren für die integrierte Governance nationaler Nachhaltigkeitsstrategien – Der Fall der deutschen „Transformations-Teams“ (Julius Rathgens, wpn2030)

Der GSDR 2023 betont die Notwendigkeit des Aufbaus und Ausbaus von Kapazitäten zur Unterstützung der Nachhaltigkeitstransformation. Auf wissenschaftlicher Seite umfassten diese Kapazitäten unter anderem die Produktion sozial robuster wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Stärkung der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Auf politischer Seite betone der Bericht, dass u.a. die interministerielle Zusammenarbeit und Koordination zur Erreichung der SDGs notwendig sei (siehe Abb. 2).

Abbildung 2: Ansatzpunkte (Entry Points) zur Beschleunigung der Umsetzung der SDGs (GSDR 2023, S.69)

Die deutsche Bundesregierung hat durch die Einrichtung der sogenannten „Transformations-Teams“ im Jahr 2022 einen bedeutenden Schritt unternommen, um die Empfehlungen des GSDR 2019 umzusetzen. Diese Teams seien eingerichtet worden, um die zentralen Transformationsbedarfe in sechs Bereichen ressortübergreifend zu bearbeiten (siehe Abb. 2). Die Teams bestehen aus Vertreter:innen der Ministerien, die sich an der Transformation in
den Kernbereichen der Strategie beteiligen und werden von jeweils 3-6 Ministerien ko-federführend geleitet. Bis zum Ende der Pilotphase (Mitte 2024) erstellten alle Transformations-Teams sogenannte Transformationsberichte, in denen sie den Status-Quo der SDG-Umsetzung in den jeweiligen Transformationsbereichen skizzieren und bestehende
Transformationsbedarfe herausstellen.

Rathgens legte aus, dass die wpn2030 in der Begleitforschung zu den Transformationsteams untersucht, welche Faktoren zu einer erfolgreichen interministeriellen Kooperation in den Teams beigetragen haben, welche Hindernisse entstanden und wie diese von den Teams adressiert und wo möglich überwunden wurden.

Rathgens betont, die ersten Ergebnisse der Begleitforschung zeigten, dass für die Arbeit der Transformations-Teams kontinuierliches Lernen und Anpassung erforderlich sei. Die Pilotphase habe ein starkes Verlangen nach Umsetzung geschaffen, um den Übergang vom Wissen zum Handeln zu vollziehen und sicherzustellen, dass Strategien relevant und wirksam bei der Erreichung der SDGs bleiben. Um die aus dieser Phase gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen, sei es nun laut Rathgens wichtig, in die zweite Phase zur beschleunigten Umsetzung der SDGs überzugehen.

Der Austausch im Rahmen des Side-Events helfe, die Ergebnisse der Begleitforschung zu den Transformations-Teams zu kontextualisieren und erste Erkenntnisse zur Übertragbarkeit dieses Ansatzes zu generieren.

Einblicke in die integrierte Governance nationaler Nachhaltigkeitsstrategien in Brasilien (Luciana Servo, IPEA)

Luciana Servo, Präsidentin des brasilianischen Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (IPEA), teilte Einblicke in die Bemühungen und Herausforderungen Brasiliens in der Governance seiner nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Die Präsentation hob Brasiliens Fortschritte und strategischen Prioritäten hervor, die sich an der 2030-Agenda der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung orientieren. Bemerkenswert sei, dass Brasiliens erster VNR bereits im Jahr 2017 durchgeführt wurde und einen bedeutenden Meilenstein auf dem SDG-Weg des Landes darstellt.

Unter dem Begriff „Revitalisierung der SDG-Agenda in Brasilien“ beschreibt sie mehrere Schlüsselinitiativen zur Verbesserung der Governance und zur Sicherstellung einer umfassenden Bewertung der Fortschritte. Ein zentraler Aspekt der SDG-Governance Brasiliens sei die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft. Die erneute Einsetzung einer Nationalen Kommission für die SDGs im September 2023 unterstreiche den politischen Willen und das Engagement der Regierung für die Agenda-Umsetzung.
Die Kommission spiele eine entscheidende Rolle bei der Koordinierung und Integration verschiedener Interessengruppen, einschließlich lokaler Regierungen, zivilgesellschaftlicher Organisationen, des Privatsektors und staatlicher Unternehmen.

Der Umsetzungsprozess in Brasilien fuße laut Servo auf einer umfassenden Beteiligung von Stakeholder-Gruppen und einer rigorosen Analyse der Prozesse, Instrumente und Ergebnisse der Konsultationen. Beispielhaft gibt Servo einen Einblick in die breite Beteiligung von Expert:innen- und Interessengruppen am SDG-Monitoring in Brasilien.

Der VNR sei hierbei einem vielfältigen Publikum zugänglich gemacht worden, darunter 91 Vertreter:innen lokaler Regierungen, 152 aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, 120 aus dem Privatsektor und 44 aus staatlichen Unternehmen. Über 70 Spezialist:innen von IPEA, IBGE und Fiocruz hätten eine eingehende Analyse der 17 SDGs durchgeführt und 127 globale Indikatoren bewertet, die nach Region, Geschlecht und Ethnie aufgeschlüsselt wurden. Die Analyse des Fortschritts Brasiliens in der Umsetzung der SDGs habe ein gemischtes Bild gezeigt. Zwar wurden einige Ziele vollständig erreicht oder zeigten einen positiven Fortschritt, jedoch konnten fast die Hälfte der Ziele nicht angemessen geschätzt
werden (siehe Abb. 3).

Zur Ausrichtung nationaler Anstrengungen an globalen Strategien habe Brasilien zudem an sechs T20-Arbeitsgruppen (T-20 ist eine Plattform die den G20-Prozess am Science-Policy-Interface unterstützt) teilgenommen und zu 375 Policy Briefs beigetragen, an denen 175 Think Tanks und Spezialist:innen aus den G20-Ländern und der Afrikanischen Union beteiligt waren. Diese Zusammenarbeit sei in mehreren zentralen Empfehlungen zusammengeführt worden, darunter die Stärkung der multilateralen Zusammenarbeit zur Bekämpfung von
Hunger und Armut, die Anwendung progressiver Fiskalpolitiken zur Verringerung von Ungleichheiten und zur Unterstützung der Klimagerechtigkeit sowie die Nutzung erschwinglicher Klimafinanzierungen für gerechte Energiewenden. Gefordert werde zudem, den Kapazitätsaufbau und -ausbau zu stärken sowie den Technologietransfer, die Finanzierung nationaler Transitionspläne sowie die Schuldenentlastungsrahmen und die Kreditvergabepraktiken des IWF zu reformieren, um den fiskalischen Spielraum für eine inklusive Entwicklung zu erweitern. Die Einrichtung einer Multi-Stakeholder-Plattform für die globale Datenverwaltung, die Verbesserung digitaler öffentlicher Infrastrukturen und die Verstärkung der Zusammenarbeit der Länder zu Künstlicher Intelligenz (KI) werden ebenfalls empfohlen. Darüber hinaus solle die WTO gestärkt werden, um Handels- und Investitionsverhandlungen zu erleichtern. Dies könnte dazu verhelfen Gesundheitsdisparitäten besser zu adressieren und sicherstellen, dass die G20-Verpflichtungen zu Geschlechter- und ethnischer Gerechtigkeit in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden.

Abbildung 3: Übersicht über die Erreichung der SDGs in %

Kapazitätsaufbau und -ausbau durch Peer-Learning

Ein essentieller Bestandteil des Side-Events war der Austausch mit den Teilnehmenden. Innerhalb des Side-Events waren deshalb eine Vielzahl an verschiedenen Akteursgruppen zugegen, die sowohl private-, als auch öffentliche Institutionen aus verschiedenen Ländern vertreten haben. In fragegeleiteten Peer-Learning Dialogen wurde hierfür zu der Übertragbarkeit auf andere Kontexte diskutiert. Basierend auf den geteilten Erfahrungen aus unterschiedlichen Strategiekontexten konnten gemeinsame
Transformationsbedarfe für den Kapazitätsaufbau und -ausbau identifiziert werden. Hierbei
wurde vor allem zu Rahmensetzungen diskutiert, wie z.B. zur Finanzierung von Transformationsmaßnahmen und der Zusammenarbeit zwischen privaten
und öffentlichen Institutionen. Zusätzlich wurde darauf verwiesen, dass vergleichende Fallstudienanalysen dazu dienen können, spezifische Erfolgsfaktoren zu identifizieren und ihre Übertragbarkeit auf unterschiedliche Kontexte hervorzuheben. Insbesondere interaktive, digitale Plattformen können hierbei unterstützen und den systematischen Austausch auf Grundlage von Dokumentationen, Berichten und Daten ermöglichen.


Referenzen

Independent Group of Scientists appointed by the Secretary-General, Global Sustainable Development Report 2023: Times of crisis, times of change: Science for accelerating transformations to sustainable development, (United Nations, New York, 2023). https://sdgs.un.org/sites/default/files/2023-09/FINAL%20GSDR%202023-Digital%20110923_1.pdf