31.01.2024 2030 Agenda, Multilateralismus, Nachhaltigkeitspolitik, SDG von Sarah Löpelt

HLPF 2023: Ernüchternde Zwischenbilanz zur Agenda 2030

Stärkere wissenschaftsbasierte und inklusive Umsetzung der SDGs sind gefragt

„We’re half-way there but nowhere close” war die generelle Bestandsaufnahme des Hochrangigen Politischen Forums zu Nachhaltiger Entwicklung (HLPF) im Juli 2023 zur Halbzeitbilanz der Agenda 2030 und ihrer Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Der Bedarf nach einer stärkeren Rolle der Wissenschaft und Einbindung von u.a. Jugend und Kommunen bei der Umsetzung der Agenda 2030 ist daher größer denn je. Sarah Löpelt, wissenschaftliche Referentin und Mitarbeiterin bei der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 (wpn2030), berichtet.

Wie steht es weltweit um Armutsbekämpfung, Geschlechtergerechtigkeit und Bildung, um die Nachhaltigkeit unserer Wirtschaftssysteme, die Gesundheit von Mensch und Umwelt sowie den Klimaschutz? Die Halbzeitbilanz zum aktuellen Stand der Agenda 2030 und ihrer Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ist laut SDG-Fortschrittsbericht des UN-Generalsekretärs (2023: 8; 11) „ernüchternde Realität“: Bis zum Jahr 2030 werden voraussichtlich nur 15% der Ziele und Unterziele, die sich die Weltgemeinschaft 2015 gesetzt hat, erreicht. „We’re half-way there but nowhere close” war daher die generelle Bestandsaufnahme des Hochrangigen Politischen Forums zu Nachhaltiger Entwicklung (HLPF), zu dem vom 10.-19. Juli 2023 Vertreter:innen aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (VN) und Akteur:innen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft im Hauptsitz der VN in New York zusammengekommen waren. Sarah Löpelt, wissenschaftliche Referentin und Mitarbeiterin bei der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 (wpn2030), hat teilgenommen und berichtet.

Als zwischenstaatliches Gremium hat das HLPF das Mandat der politischen Führung zu nachhaltiger Entwicklung in den VN, das heißt, die Umsetzung der Verpflichtungen im Bereich nachhaltiger Entwicklung durch nationale Berichterstattung zu überprüfen. Dazu gehören insbesondere die Agenda 2030 und ihre SDGs. Unter Schirmherrschaft des Wirtschafts- und Sozialrates der VN (ECOSOC) hat das HLPF zum Thema „Accelerating the recovery from the coronavirus disease (COVID-19) and the full implementation of the 2030 Agenda for Sustainable Development at all levels“ stattgefunden. Das diesjährige HLPF diente auch der Vorbereitung des SDG-Gipfels am 18. und 19. September 2023, der alle vier Jahre unter der Schirmherrschaft der Generalversammlung durchgeführt wird.

Ein besonderes Merkmal des diesjährigen HLPF war die verstärkte Präsenz von Jugendvertreter:innen sowie von Vertreter:innen aus Städten und Gemeinden. Zu den Themen, die den Diskurs beim HLPF bestimmten, gehörten u.a. die Reform der internationalen Finanzinstitutionen und multilateralen Entwicklungsbanken sowie die Voluntary National Reviews (VNRs) und Voluntary Local Reviews (VLRs), freiwillige Berichte zur Umsetzung der SDGs auf nationaler Ebene, und nun auch vermehrt auf lokaler Ebene. Besonders gespannt blickten dabei viele Akteur:innen auf den ersten Voluntary Review (VR) der Europäischen Union (EU), der am 19.07.2023 im Rahmen des offiziellen HLPF-Programms präsentiert wurde. Auch sogenannte negative Spillover-Effekte, die negativen Auswirkungen des u.a. wirtschaftlichen Handelns von Hocheinkommensländern auf andere Länder, meist niedrigen und mittleren Einkommens, und deren Möglichkeiten einer nachhaltigen Entwicklung, erlangen immer mehr Bedeutung im internationalen Diskurs zu einer beschleunigenden Umsetzung der Agenda 2030. Dies wurde unter anderem im Side Event von SDSN Germany “Sustainable supply chains, spillover effects and SDG 9” deutlich.

Die wpn2030 war beim HLPF vertreten, um verschiedene Themenbereiche mitzuverfolgen. Dazu gehören u.a. wichtige Entwicklungen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik (Science-Policy-Interface) auf internationaler Ebene und Ansätze der Politikkohärenz und der Beteiligung von Akteur:innen (u.a. von Zivilgesellschaft und jungen Menschen) an multilateralen Prozessen. Auch der SDG-Gipfel im September 2023 und der Zukunftsgipfel 2024 sind für die wpn2030 relevant. Im Folgenden werden beispielhaft einige aus Sicht der wpn2030 zentralen Inhalte des HLPF 2023 zusammengefasst.

Science Day, SDG Summit 2023 und Summit of the Future 2024

Als eine wichtige Veranstaltung am Science-Policy-Interface ist allen voran der erste im Rahmen eines HLPF ausgetragene Science Day zu nennen, der die wichtige Rolle der Wissenschaft für eine beschleunigte Umsetzung der SDGs in diesem neuen Format adressierte. Das Special Event brachte am 15.07.2023 etwa 150 Expert:innen aus Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und dem VN-System zusammen, um gemeinsam über Strategien für eine evidenzbasierte und effiziente Umsetzung der SDGs zu diskutieren. Die wpn2030 war beim Roundtable zum Thema Politikkohärenz vertreten. Dort wurde unter anderem festgestellt, dass Politikkohärenz bereits sehr gut theoretisch konzeptualisiert, wenn nicht sogar überkonzeptualisiert sei, aber noch empirische Forschung fehle. Insgesamt unterstreicht der Science Day den steigenden Bedarf an wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren Anerkennung in der Politik, um evidenzbasierte Entscheidungen zu ermöglichen, die die Verwirklichung einer Transformation zur Nachhaltigkeit unterstützen. Beispielsweise, so die Aussage des Präsidenten des ISC Sir Peter Gluckmann während des Science Day, könne Wissenschaft bei einem Wandel von einem linearen zu einem Systemdenken helfen.

Die Diskussionsergebnisse des Science Day mündeten in einer gemeinsamen Stellungnahme der Teilnehmenden. Wissenschaft soll demnach als Grundlage für die Transformation zur Nachhaltigkeit und die Zielerreichung bis 2030 gestärkt werden. Die Stellungnahme betont u.a. die Notwendigkeit für mehr transdisziplinäre, interdisziplinäre sowie missionsorientierte Forschung, um die SDGs umzusetzen und empfiehlt, dass Forschungsförderung entsprechend dieser Forschungsarten priorisiert werden sollte. Zudem wird die Bedeutung von Forschung nicht nur zu den Synergien, sondern vor allem zu den Zielkonflikten zwischen den SDGs herausgestellt. Diese Stellungnahme soll sowohl die politische Erklärung des SDG-Gipfels 2023 als auch die politische Erklärung des Präsidenten der Generalversammlung für den Zukunftsgipfel 2024 informieren. Der SDG-Summit am 18. und 19. September 2023 diente dazu, die Bereiche zu definieren, in denen Mitgliedstaaten ihre Ambitionen in Bezug auf die Agenda 2030 und SDGs erhöhen wollen, während beim Summit of the Future 2024 die multilateralen Kapazitäten gestärkt werden sollen, um diese Verpflichtungen zu erreichen.

GSDR 2023

Ein weiteres Highlight für die Wissenschaft beim HLPF war die Vorstellung des Global Sustainable Development Report (GSDR) 2023 durch Wissenschaftler:innen der Independent Group of Scientists. Dieser, neben dem SDG-Fortschrittsbericht des UN-Generalsekretärs 2023, zweite zentrale Bericht des HLPF untermauert die eingangs beschriebene Bestandsaufnahme zur Agenda 2030. Der mangelnde Fortschritt und teilweise Rückschritt bei der Zielerreichung sei u.a. durch ein Zusammentreffen mehrerer Krisen, darunter der Covid-19-Pandemie, der steigenden Inflation und Lebenshaltungskosten, der regionalen Konflikte und Extremwetterereignisse, geprägt (GSDR, 2023: 2 f., 5). Diese Krisen wirkten sich verstärkend auf bereits bestehende strukturelle Hindernisse einer Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele, wie unzureichende finanzielle, institutionelle und menschliche Kapazitäten, aus (GSDR, 2023: XXIV). Wissenschaft und Technologie werden im GSDR 2023 als einer von fünf Hebeln dargestellt, um den Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit zu unterstützen. Der im Bericht neu identifizierte Hebel „Capacity Building“ unterstützt die anderen vier Hebel, besitzt aber auch einen Wert an sich (GSDR, 2023: 46). Er umfasst die Fähigkeiten von Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, kontext-spezifische Transformationspfade zu gestalten. Um z.B. komplexe, strategische, integrierte und vorausschauende Entscheidungen zu treffen, braucht es u.a. Kenntnisse zur Stärkung des Science-Policy-Interfaces und den damit zusammenhängenden Fähigkeiten der Wissensgenerierung, -validierung und -verbreitung sowie der wissenschaftsbasierten Politikberatung (GSDR, 2023: 47; 90).

Wissenschaft sollte laut dem Bericht multidisziplinär, in gerechter Weise und unter Einbeziehung aller, einschließlich junger Menschen, produziert und offen geteilt werden, Vertrauen genießen sowie angenommen werden und für die Gesellschaft relevant sein. Dementsprechend fordert der GSDR 2023 breitere Beteiligungsprozesse an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Beispielsweise seien derzeitige Science-Policy-Plattformen nicht inklusiv genug, da sie die Zivilgesellschaft und junge Menschen nicht genügend einbinden würden, weshalb diese sich in Richtung eines Science-Policy-Society-Interface weiterentwickeln müssten. Eine weitere Forderung des GSDR 2023 für transformativen Wandel besteht in der Entwicklung nationaler Pläne für „transformative, beschleunigende Maßnahmen“ (S. 105), die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und öffentlicher Beteiligung basieren sollten.

Städte und junge Menschen fordern mehr Mitbestimmung und geben Zuversicht für die Erreichung der SDGs

Trotz der bisher mangelnden Umsetzung der Agenda 2030 und SDGs zeigt die lokale Ebene, dass es durchaus Fortschritte zu verzeichnen gibt. Dies zeigen die zahlreichen VNRs, von denen beim HLPF berichtet wurde, unter anderem von der Stadt Helsinki und Mexiko City. Die Bedeutung der Kooperation mit allen Akteur:innen, darunter der Wissenschaft und jungen Menschen, bei der Erstellung der Reviews wurde dabei hervorgehoben. Diese Entwicklungen im Hinblick auf die stärkere Einbindung von jungen Menschen und auch (jungen) Wissenschaftler:innen in Konsultations- und Entscheidungsprozesse auf lokaler und auch auf zwischenstaatlicher Ebene, bspw. bei der Erstellung des GSDR 2023, gibt Hoffnung für eine inklusivere Umsetzung der Agenda 2030.

Das HLPF 2023 machte deutlich, dass der Bedarf an einem gestärkten Science-Policy-Interface unter einer breiten Beteiligung, u.a. von städtischen und jugendlichen Vertreter:innen, für die Erreichung der SGDs größer denn je ist. Dies ist eine bedeutsame Schlussfolgerung für die Arbeit der wpn2030. Denn die Plattform hat den Auftrag, Fragen der Nachhaltigkeitspolitik zu reflektieren und die Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) mit wissenschaftlicher Expertise zu unterstützen und diese Interaktion auszubauen. Neben dem kollaborativen Lernen zwischen Wissenschaft und Politik unterstützt die wpn2030 die ko-kreative Gestaltung von Austauschformaten zwischen Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Mit einer zusätzlichen Einbettung der deutschen und europäischen Umsetzungen der SDGs in einen internationalen Kontext hat die wpn2030 das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zu einem gestärkten Science-Policy-Interface und einer inklusiven Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer Ziele für nachhaltige Entwicklung zu leisten.

Den vollständigen Bericht zum HLPF 2023 finden Sie hier.


Literatur:

United Nations (2023). The Sustainable Development Goals Report: Special edition. Towards a Rescue Plan for People and Planet. Verfügbar unter: https://sdgs.un.org/sites/default/files/2023-07/The-Sustainable-Development-Goals-Report-2023.pdf.

Global Sustainable Development Report (2023). Times of Crisis, Times of Change. Science for Accelerating Transformations to Sustainable Development. Verfügbar unter: https://sdgs.un.org/sites/default/files/2023-09/FINAL%20GSDR%202023-Digital%20-110923_1.pdf.

Der Autor / Die Autorin

Sarah Löpelt

Wissenschaftliche Mitarbeiterin