05.12.2022 News

Launch des Europe Sustainable Development Report 2022

Paris, 05. Dezember 2022: Heute wurde die 4. Ausgabe des Europe Sustainable Development Reports (ESDR) veröffentlicht. Dieser enthält den SDG-Index und Dashboards, die die Fortschritte der EU, ihrer Mitgliedstaaten und Partnerländer bei den Sustainable Development Goals (SDGs) aufzeigen. Der Bericht zeigt, dass sieben Jahre nach der Verabschiedung der SDGs durch die internationale Gemeinschaft und inmitten mehrerer Krisen die Fortschritte der EU bei den SDGs ins Stocken geraten sind. Auf Grundlage der seit 2015 verfügbaren Trenddaten ist die EU immer noch auf dem richtigen Weg, um etwa zwei Drittel der Ziele zu erreichen, doch ein Drittel der Ziele weist unzureichende Fortschritte auf oder geht in die falsche Richtung, insbesondere bei den Zielen in Bezug auf verantwortungsvollen Konsum, Klima und biologische Vielfalt (SDG2; 12-15). Durch nicht nachhaltige Konsum- und Handelspraktiken verursacht die EU große negative Spillover-Effekte im Rest der Welt.


Guillaume Lafortune, Vizepräsident des SDSN und federführender Autor des Berichts, stellt fest:
„Inmitten zahlreicher Gesundheits-, Sicherheits-, Klima- und Finanzkrisen bleiben die SDGs die Zukunft, die Europa und die Welt wollen. Indem sie die Ambitionen des Europäischen Green Deals zuhause verwirklicht und den Zugang zur internationalen SDG-Finanzierung verbessert, kann die EU ihre strategischen Ziele erreichen und andere Länder für ihre Werte, die auf Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beruhen, gewinnen. Die Führungsrolle und die diplomatischen Bemühungen werden weiterhin von entscheidender Bedeutung sein, um wichtige multilaterale Prozesse zur Verwirklichung der SDGs voranzutreiben, wie etwa den SDG-Gipfel der UN-Staatschefs im September 2023 und den UN-Zukunftsgipfel 2024.“


Adolf Kloke-Lesch, Co-Vorsitzender des SDSN Europes, unterstreicht:
„Diplomatie, Frieden und globale Zusammenarbeit sind Grundvoraussetzungen für Fortschritte bei der nachhaltigen Entwicklung. Die EU sollte eine proaktive und SDG-orientierte Außen- und Sicherheitspolitik betreiben und in ihre internationalen Partnerschaften investieren. In einer multipolaren Welt kann der Frieden nicht allein durch ein „Verteidigung gegen“ Denken gesichert werden, sondern erfordert auch einen „Zusammenarbeit für“ Ansatz: für eine nachhaltige, friedliche Zukunft. Angesichts der Halbzeit der Umsetzung der Agenda 2030 ist es für die EU nun an der Zeit, sich der Herausforderung zu stellen und sich für das globale Gemeinwohl einzusetzen, das in der Agenda 2030 und den SDGs verkörpert und dokumentiert ist.“

SDG-Fortschritte in Europa und weltweit seit 2020 ins Stocken geraten

Mehrere und gleichzeitige Gesundheits-, Sicherheits-, Klima- und Finanzkrisen führten zu einer Verlangsamung des durchschnittlichen SDG-Fortschritts in der EU, insbesondere durch langsame Fortschritte bei sozioökonomischen Ergebnissen und Umweltzielen. Finnland führt den SDG-Index in diesem Jahr (zum zweiten Mal in Folge) an, doch selbst die Länder an der Spitze des SDG-Index stehen bei der Verwirklichung mehrerer SDGs vor erheblichen Herausforderungen. Auch Deutschland findet sich dieses Jahr wieder unter den ersten Zehn, auf Platz 6 (und Platz 11 im „Leave-No-One Behind Index“) – die Rolle Deutschlands wird an mehreren Stellen des Berichts hervorgehoben. Insgesamt steht die EU vor ihren größten SDG-Herausforderungen in den Bereichen verantwortungsvoller Konsum und Produktion, Klima und biologische Vielfalt sowie bei der Förderung der Konvergenz der SDG-Fortschritte in ihren Mitgliedstaaten. In den vergangenen zwei Jahren sind die Fortschritte bei vielen Sozial- und Gesundheitsindikatoren wie Armut, Lebenserwartung und Arbeitslosigkeit ins Stocken geraten. Die hohe Inflation und die Energiekrise werden in den kommenden Monaten und Jahren wahrscheinlich die schwächsten Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig stark treffen.

Dennoch konnten in der EU die negativen Auswirkungen mehrerer Krisen auf die SDG-Fortschritte im Vergleich zum Rest der Welt bisher etwas eingedämmt werden, vor allem dank gut funktionierender sozialer Sicherungssysteme und automatischer Stabilisatoren sowie zusätzlicher staatlicher Interventionen und Maßnahmen – insbesondere der während der COVID-19-Pandemie von der EU und ihren Mitgliedstaaten verabschiedeten Notfall- und Konjunkturpakete. Im Rest der Welt wird die Erreichung der SDGs durch schwerwiegende Finanzierungsengpässe in den Entwicklungsländern behindert, die durch die COVID-19-Pandemie und den Krieg in der Ukraine noch verschärft wurden.

Die SDGs bleiben die Zukunft, die Europa und die Welt wollen

Schon vor der Pandemie waren die Fortschritte in Bezug auf die Erreichung der SDGs zu langsam und ungleichmäßig- sowohl weltweit als auch in Europa. Seit 2020 sind die Fortschritte ins Stocken geraten, was auf mehrere Krisen zurückzuführen ist, die einen großen Rückschlag für die SDGs und die menschliche Entwicklung weltweit bedeuten. Die globalen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine werden höchstwahrscheinlich sogar die bisher erzielten Fortschritte zunichtemachen. Vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Rivalitäten und eines fragmentierten Multilateralismus sind die SDGs jedoch nach wie vor die einzige umfassende und universelle Vision für sozioökonomischen Wohlstand und ökologische Nachhaltigkeit, die von allen UN-Mitgliedstaaten angenommen wurde. Wenn es nicht gelingt, die grundlegenden SDG-Prinzipien der sozialen Inklusion, der sauberen Energie, des verantwortungsvollen Konsums und des allgemeinen Zugangs zu öffentlichen Dienstleistungen umzusetzen, wird dies zu weiteren Krisen führen. In einer multipolaren Welt sollte die EU mehr denn je die SDGs, sowohl intern als auch in ihrem weltweiten Dialog und ihrer Zusammenarbeit als Kompass nutzen – auch mit Brasilien, China, Indien und Afrika.

Die Welt braucht einen gerecht verteilten steuerlichen Spielraum für Investitionen in die SDGs. Die SDGs sind weitgehend eine Investitionsagenda in Humankapital (Gesundheit, Bildung, Soziale Sicherung) und physische Infrastruktur (saubere Energie, digitale Technologien). Es ist nicht an der Zeit, die Ambitionen im Bereich der internationalen Solidarität, einschließlich der Ziele für die öffentliche Entwicklungshilfe, zurückzuschrauben. Die Kosten künftiger Konflikte, humanitärer Krisen, Bevölkerungsverschiebungen und Flüchtlingskrisen werden die jetzt für die SDGs zu leistenden Finanztransfers bei weitem übersteigen.

Fünf Empfehlungen zur Stärkung der EU- Führungsrolle

Im Juli 2023 wird die EU bei den Vereinten Nationen zum ersten Mal einen EU-weiten freiwilligen Regionalbericht über die Umsetzung der Agenda 2030 (EU Voluntary Regional Review) vorlegen. Dieser Bericht bietet die Gelegenheit, der internationalen Gemeinschaft ein deutliches Signal für das Engagement und die Führungsrolle der EU bei den SDGs zu geben. Einige Monate später, im September 2023, werden sich die Staats- und Regierungschefs unter der Schirmherrschaft der UN-Generalversammlung in New York zum zweiten SDG-Gipfel treffen (der letzte fand 2019 statt). Im Anschluss an den SDG-Gipfel wird im September 2024 ein Zukunftsgipfel stattfinden, auf dem ein Zukunftspakt verabschiedet werden soll, der unter anderem umfassende Reformen der multilateralen Institutionen und der Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung vorsieht. Der diesjährige Bericht enthält fünf Empfehlungen zur Stärkung der Führungsrolle der EU bei den SDGs im In- und Ausland:

  1. Der freiwillige Regionalbericht der EU, der im Juli 2023 bei den Vereinten Nationen vorgelegt werden soll, sollte drei wichtige Elemente umfassen: (1) interne Prioritäten, (2) internationale Spillover-Effekte und (3) internationale Partnerschaften und Diplomatie für die SDGs.

  2. Veröffentlichung einer gemeinsamen politischen Erklärung der drei Säulen der EU – Europäischer Rat, Europäisches Parlament und Europäische Kommission, in der sie ihr starkes Engagement für die Agenda 2030 im Kontext der zahlreichen Krisen bekräftigen und ein neues Momentum für die Verwirklichung der SDG in einer multipolaren Welt schaffen.

  3. Kommunikation durch die Europäische Kommission wie die EU die SDGs in Europa erreichen will, einschließlich Zielvorgaben, Zeit- und Fahrplänen.

  4. Umsetzung und Verstärkung der auf dem G20-Gipfel in Bali/Indonesien und auf der COP 27 in Sharm El Sheikh/Ägypten eingegangenen Verpflichtungen, um die Forderung des UN-Generalsekretärs nach einem „SDG-Stimulus“ zu unterstützen. Der Stimulus sollte sich mit dem fiskalischen Spielraum in Entwicklungsländern befassen, und die EU sollte auf die Annahme eines globalen Mechanismus drängen, um die Finanzierung der durch den Menschen verursachten Klimaanpassungs- und Schadenskosten (loss and damage) gerecht und global auf
    die verantwortlichen Länder zu verteilen.

  5. Einrichtung eines neuen Mechanismus oder Erneuerung des Mandats der SDG-Multi-Stakeholder-Plattform der EU für ein strukturiertes Engagement mit der Zivilgesellschaft, Jugendorganisationen, der Wirtschaft, den Gewerkschaften und Wissenschaftlern in Bezug auf SDG-Politik und Monitoring.

Weitere Ergebnisse:

Durch nicht nachhaltigen Konsum und Handel erzeugt die EU große negative Spillover-Effekte im Rest der Welt. Der Konsum der EU wird mit 1,2 Millionen Menschen in Zwangsarbeit und mehr als 4.000 tödlichen Arbeitsunfällen pro Jahr in Verbindung gebracht. 40 % der Treibhausgase, die zur Deckung des Verbrauchs von Waren und Dienstleistungen in der EU benötigt werden, werden im Ausland ausgestoßen. Die EU hat wichtige Instrumente zur Eindämmung negativer internationaler Spillover-Effekte eingeführt oder ist dabei, diese einzuführen.

Die zahlreichen Krisen und die Reaktionen der EU haben den Weg für eine nachhaltige Entwicklung in Europa weitgehend geklärt: Beschleunigung der Umsetzung des europäischen Green Deal durch einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und der integrierten und digitalen Stromnetze. Partnerschaften zwischen der EU und den Nachbarländern, einschließlich der westlichen Balkanländer und Nordafrikas, können dazu beitragen, die Energiewende in der EU voranzutreiben. Der Bericht beschreibt, wie ein integrierter Ansatz, der auf die Verwirklichung der sechs wichtigsten SDG-Transformationen abzielt (eine davon ist die Dekarbonisierung der Energie), dazu beitragen kann, die SDGs in der EU voranzubringen.

Die diesjährige Sonderausgabe enthält 10 Beiträge von Experten und Praktikern, u.a. von SDSN, IDDRI, IDOS, OECD, IEEP und EESC, die sich mit der Frage befassen, wie die EU ihre Führungsrolle bei den SDGs sowohl innerhalb der EU als auch international stärken kann.

Über den Bericht

Die 4. Ausgabe des Europe Sustainable Development Reports ist Teil der größeren „Sustainable Development Report (SDR)“ Berichtsreihe. Seit 2015 liefert der SDR die aktuellsten Daten, um die Fortschritte Europas und aller UN-Mitgliedsstaaten bei den SDGs zu verfolgen und zu bewerten. Die Methodik wurde von Nature Geoscience und Cambridge University Press peer reviewt und von der Europäischen Kommission statistisch geprüft. Die europäische Ausgabe stützt sich auf mehrere öffentliche Konsultationsrunden und auf die Beiträge zahlreicher Wissenschaftler und Praktiker, insbesondere der Mitglieder des SDSN-Netzwerks – des größten globalen SDG-Netzwerks von Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen. Der Bericht wurde von einer Gruppe unabhängiger Experten bei SDSN und SDSN Europe erstellt.

Kontakt
Maëlle Voil | media@unsdsn.org | +33 (0) 6 99 41 70 11